Erntedankfest
Das Fest der Dankbarkeit wird in vielen Kulturen gefeiert

Wenn im Herbst die Felder abgeerntet sind, die Bäume ihre bunten Blätter verlieren und Kürbisse, Äpfel und Getreide die Märkte füllen, ist es Zeit für ein Fest, das tief in der Geschichte der Menschheit verankert ist: das Erntedankfest. In Deutschland feiern es Christ*innen traditionell am ersten Sonntag im Oktober. Es ist ein Fest des Dankes für das, was gewachsen ist, geerntet wurde und uns durch den Winter bringt. Seine Ursprünge reichen weit über das Christentum hinaus, seine Bräuche sind vielfältig, und seine Bedeutung hat sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt.
Erntedankfest hat Wurzeln in vielen Kulturen
Schon lange bevor das Christentum entstand, feierten Menschen in unterschiedlichen Teilen der Welt Feste zu Ehren der Ernte. Im alten Rom, im antiken Griechenland, aber auch im alten Israel war der Dank an die Götter für eine gute Ernte Teil religiöser und kultureller Rituale. Die Abhängigkeit vom Wetter und der Fruchtbarkeit des Bodens prägte das Leben tief. Eine reiche Ernte konnte über das Überleben im Winter entscheiden.
Diese Dankbarkeit übertrug sich später auf die christliche Religion. Bereits im 3. Jahrhundert nach Christus wird ein Erntedankfest in kirchlichen Quellen erwähnt. Einen einheitlichen Termin gab es jedoch lange nicht, dieser wurde je nach Region, Erntezeit und Konfession unterschiedlich festgelegt. Erst 1972 legte die katholische Kirche den ersten Sonntag im Oktober als offiziellen Erntedanktag fest. In der evangelischen Kirche wird es dagegen am ersten Sonntag nach dem Michaelistag gefeiert, was zu abweichenden Terminen führen kann.
Kirche, Kronen, Kränze – Erntedank in der Praxis
Heute ist das Erntedankfest vor allem in ländlichen Regionen und Kirchengemeinden noch lebendig. In vielen Kirchen wird der Altar kunstvoll mit Obst, Gemüse, Getreide, Kürbissen und Brot geschmückt – eine bildstarke Erinnerung an die Fruchtbarkeit der Erde. Kinder gestalten eigene kleine Erntekörbe, es werden Gottesdienste gefeiert, und in manchen Orten gibt es feierliche Prozessionen, bei denen bunt geschmückte Wagen durch die Straßen ziehen. Erntekronen aus Ähren oder Blumen sind ein zentraler Bestandteil dieser Umzüge. Sie symbolisieren den Abschluss der Erntearbeiten und erinnern an frühere Zeiten, in denen Bauern diese Krone als Abgabe an ihre Grundherren überreichten.
Solche Feste hatten auch einen sozialen Aspekt: Wer die Ernte abgeschlossen hatte, durfte feiern – mit gutem Essen, Bier, Tanz und Gemeinschaft. Aus dieser Tradition entwickelten sich Volksfeste, wie etwa der Cannstatter Wasen in Stuttgart. Die dortige Fruchtsäule, eine riesige Dekoration aus Obst und Gemüse, erinnert bis heute an den Ursprung als Erntedankfest.
Wie wird Erntedank in anderen Kulturen und Religionen gefeiert?
Erntedank ist kein rein christliches Phänomen. Viele Kulturen und Religionen weltweit kennen vergleichbare Feste, in denen sich eine gemeinsame menschliche Erfahrung spiegelt: die tiefe Verbundenheit mit der Natur, der Wunsch nach Gemeinschaft und das Bedürfnis, Dankbarkeit auszudrücken.
Im Judentum werden gleich zwei Erntefeste gefeiert: Schawuot, das Wochenfest, markiert den Beginn der Weizenernte und den Empfang der Tora. Sukkot, das Laubhüttenfest, erinnert an das Ende der Erntezeit und an die Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten.
In den USA ist das Erntedankfest unter dem Namen Thanksgiving bekannt. Es wird am vierten Donnerstag im November gefeiert. Die Wurzeln liegen in einem Fest, das die sogenannten Pilgerväter 1621 nach ihrer Ankunft in der Neuen Welt gemeinsam mit indigenen Menschen gefeiert haben sollen. Heute ist Thanksgiving ein nationaler Feiertag mit starkem familiären Fokus, gefeiert mit Truthahn, Kartoffelpüree, Cranberrysoße und Pumpkin Pie. Für viele Indigene allerdings ist es ein Tag der Trauer, da er an die Kolonialisierung und ihre Folgen erinnert.
In Indien wird mit Pongal ein hinduistisches Erntedankfest gefeiert, vor allem im Süden des Landes. Es dauert mehrere Tage und fällt auf Mitte Januar. Menschen danken der Sonne, den Rindern und der Natur für ihre Gaben, kochen gemeinsam süßen Reis und schmücken Häuser und Höfe mit kunstvollen Mustern aus Reismehl.
N’cwala ist das wichtigste traditionelle Fest der Ngoni in Sambia. Es feiert die erste Ernte, insbesondere Mais, und symbolisiert spirituelle Verbindung, Gemeinschaft und kulturelle Identität. In Ländern wie Ghana oder Nigeria wird das Yamsfest gefeiert, meist im August oder September. Yamwurzeln gelten als „heilige Frucht“ der ersten Ernte, die nicht vor dem rituellen Dank verzehrt wird.
Kwanzaa ist ein kulturelles Fest afroamerikanischer Identität, das vom 26. Dezember bis 1. Januar gefeiert wird. Es ehrt afrikanische Wurzeln, Gemeinschaft, Selbstbestimmung und wirtschaftliche Selbstverantwortung. Auch hier stehen Dankbarkeit und Zusammenhalt im Mittelpunkt.
In Korea feiert man Chuseok, das zu den wichtigsten Feiertagen des Landes zählt. Familien kommen zusammen, besuchen die Gräber ihrer Vorfahren und genießen traditionelle Speisen wie Reiskuchen.
Auch in China spielt das Erntedankmotiv eine große Rolle beim Mittherbstfest, das traditionell dem Mond und der Familie gewidmet ist. Es wird am 15. Tag des achten Mondmonats gefeiert, meist im September oder Oktober. Im Mittelpunkt stehen Mondkuchen, Laternen und das Zusammenkommen der Familie, verbunden mit Dankbarkeit für die Ernte und das Leben.
Wie hat sich Erntedank im Laufe der Zeit verändert?
Mit der Industrialisierung und der Technisierung der Landwirtschaft seit dem 19. Jahrhundert verlor das Erntedankfest in der breiten Gesellschaft an Bedeutung. Als Bauern und Bäuerinnen zunehmend Eigentümer*innen ihrer Flächen wurden und die Versorgung nicht mehr so direkt von einer guten Ernte abhing, rückte das Bedürfnis nach einem Dankesfest in den Hintergrund. Eine politische Vereinnahmung erfuhr das Fest in der Zeit des Nationalsozialismus, wo es als „Tag der deutschen Bauern“ zu einem ideologisch aufgeladenen Propagandafest umgedeutet wurde – mit Festumzügen, Reden und nationalem Pathos.
Heute steht Erntedank nicht mehr nur für die Dankbarkeit für volle Scheunen, sondern zunehmend auch für Nachhaltigkeit und den achtsamen Umgang mit Ressourcen. Themen wie Umweltschutz, Gentechnik, Lebensmittelverschwendung und globale Ernährungsgerechtigkeit sind eng mit dem modernen Erntedankverständnis verbunden.
Zwischen Symbolik und sozialem Engagement
In vielen Gemeinden ist das Erntedankfest nicht nur Anlass für Dekoration, sondern auch für soziale Aktionen. Die im Gottesdienst gesammelten Gaben werden oft an karitative Einrichtungen, Obdachlosenheime oder Tafeln gespendet. Das christliche Verständnis betont: Danken heißt auch Teilen. In Anlehnung an das Vaterunser – „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – wird das Bewusstsein geschärft, dass Ernährung keine Selbstverständlichkeit ist und viele Menschen weltweit hungern.
Das Erntedankfest bleibt ein Ausdruck tiefer Verbindung zwischen Mensch und Natur, Tradition und Gegenwart, Glaube und gesellschaftlicher Verantwortung.
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