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Jom Kippur - ein Tag für Umkehr und Versöhnung

Wie der höchste jüdische Feiertag Menschen, Gemeinschaften und Geschichte verbindet

Jom Kippur, der „Tag der Versöhnung“, nimmt im jüdischen Jahreskreis die zentrale Stellung als höchster und feierlichster Feiertag ein. Er wird jedes Jahr am 10. Tischri, zehn Tage nach Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, begangen. Im gregorianischen Kalender fällt er somit jeweils in den September oder Oktober – im Jahr 2025 auf den 1. und 2. Oktober. Jom Kippur ist ein Tag der Umkehr, der Selbstprüfung und der Vergebung, an dem jüdische Gläubige weltweit innehalten, um sich sowohl mit Gott als auch mit ihren Mitmenschen zu versöhnen. Fasten, Gebet und Stille prägen den Charakter dieses besonderen Tages, der nicht nur im religiösen Leben, sondern auch im kollektiven Gedächtnis des jüdischen Volkes eine herausragende Rolle spielt.
 

Von Tempelritualen zu stiller Einkehr – die Ursprünge des Jom Kippur

Die Wurzeln von Jom Kippur reichen bis in die Zeit des Alten Testaments zurück. In der Tora wird er als ein Tag beschrieben, der ausschließlich Gott geweiht ist, ein „Schabbat Schabbaton“, ein „Hoher Ruhetag“. Zentraler Bestandteil war im antiken Tempelkult die Sühnehandlung des Hohenpriesters, der durch Opfer und Gebete die Vergebung der Sünden des Volkes Israel erwirkte. Besonders eindrücklich war das Ritual mit zwei Ziegenböcken: Einer wurde als Opfer dargebracht, während der andere, beladen mit den Sünden der Gemeinschaft, in die Wüste geschickt wurde. Diese symbolische Handlung sollte die Schuld aus der Gemeinschaft entfernen und so einen Neuanfang ermöglichen.

Mit der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 n. Chr. kam es zu einem tiefgreifenden Wandel in der religiösen Praxis. Opferhandlungen waren nicht länger möglich, und so gewannen Fasten, Gebet und die individuelle wie kollektive Umkehr an Bedeutung. Seither gilt Jom Kippur als Tag, an dem die spirituelle Läuterung nicht mehr durch äußere Rituale allein, sondern vor allem durch persönliche Einkehr und Versöhnung vollzogen wird. Entscheidend wurde die Überzeugung, dass Verfehlungen gegenüber Mitmenschen nicht durch Gebete allein getilgt werden können. Vielmehr muss der Mensch selbst die Initiative ergreifen, Schuld zu bekennen, Wiedergutmachung zu leisten und sich mit anderen zu versöhnen.


Wie man sich auf die heiligen Stunden vorbereitet

Die eigentliche Feier von Jom Kippur beginnt nicht erst am Abend des Fastentages, sondern wird bereits im Vorfeld eingeleitet. Am Tag vor Jom Kippur, dem Erev Jom Kippur, nehmen Gläubige traditionell ein festliches Mahl ein, das den Beginn des Fastens vorbereitet. Ebenso gehört ein rituelles Bad, die Mikwe, zu den Vorbereitungen, das der Reinigung dient und symbolisch für einen Neubeginn steht. In manchen Gemeinden hat sich auch der Brauch der Kapparot erhalten, bei dem entweder ein Huhn oder ein Geldbetrag über dem Kopf geschwungen wird, bevor das Tier oder das Geld Bedürftigen gespendet wird. Die Handlung soll symbolisch Sünden übertragen und durch die Spende in eine gute Tat verwandeln.

Ein besonders wichtiger Aspekt der Vorbereitung ist jedoch die zwischenmenschliche Klärung. Es gilt, Streitigkeiten beizulegen, um Vergebung zu bitten oder selbst zu vergeben, sodass der eigentliche Tag nicht mit ungelösten Konflikten belastet ist. Erst wenn das Verhältnis zu den Mitmenschen geordnet ist, kann der Mensch auf die Vergebung Gottes hoffen.


Rituale und Liturgie: 25 Stunden Ewigkeit – Gebete, Fasten und die Kraft der Gemeinschaft

Der Fastentag selbst dauert etwa 25 Stunden, vom Sonnenuntergang des Vortages bis zum Eintritt der Dunkelheit am nächsten Abend. Während dieser Zeit verzichten die Gläubigen auf Essen und Trinken, auf Arbeit, auf Körperpflege, auf das Tragen von Lederschuhen und auf eheliche Beziehungen. Viele kleiden sich in Weiß oder tragen den schlichten weißen Talar, den Kittel, der sowohl Reinheit symbolisiert als auch an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert.

Den Auftakt bildet der feierliche Abendgottesdienst mit dem Gebet Kol Nidre, das durch seine Melodie und seine rechtliche Funktion berühmt ist. Es hebt unbedachte Gelübde des vergangenen Jahres auf und stimmt die Gemeinde in die besondere Atmosphäre des Tages ein. Am Morgen folgt das Schacharit-Gebet, in dem auch die Toralesung stattfindet. Ein Höhepunkt ist der Mussaf-Gottesdienst, in dem das alte Tempelritual des Hohenpriesters liturgisch nachgezeichnet wird. Am Nachmittag wird das Buch Jona gelesen, dessen Botschaft von Umkehr und göttlichem Erbarmen als besonders passend für diesen Tag gilt. Den Abschluss des Tages bildet die Ne’ilah, das „Schlussgebet“. Hier gilt es, die letzten Chancen zur Umkehr zu ergreifen, bevor sich die „Tore des Himmels“ schließen. Mit dem Schofarstoß endet der Feiertag, und die Gemeinde bricht das Fasten traditionell mit einem gemeinsamen Mahl.


Wenn Städte verstummen – Jom Kippur in Israel und der Welt

Während Jom Kippur in allen jüdischen Gemeinden der Welt begangen wird, unterscheiden sich Ausdrucksformen und Akzente. In Israel steht das öffentliche Leben während dieser Zeit praktisch still. Geschäfte, Restaurants und öffentliche Einrichtungen bleiben geschlossen, kaum ein Auto fährt auf den Straßen, der Flugverkehr wird ausgesetzt. Sogar viele säkulare Israelis begehen den Tag zumindest symbolisch, etwa indem sie das Auto stehen lassen und die ungewohnten stillen Straßen zum Radfahren nutzen.
In der Diaspora sind die Traditionen vielfältiger. Orthodoxe Gemeinden halten die strikten Fasten- und Gebotsregeln ein, während liberale und reformorientierte Gemeinschaften stärker den ethischen und spirituellen Kern betonen und die Einhaltung mancher Regeln weniger streng auslegen. Auch die Digitalisierung hat neue Wege eröffnet: Viele Gemeinden übertragen ihre Gottesdienste online, sodass auch Menschen, die weit entfernt von einer Synagoge leben oder aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen können, den Tag in Gemeinschaft erleben.


Spirituelle Dimension und Bedeutung: Freude im Fasten – warum Verzicht Hoffnung bedeutet

Trotz der Strenge der Fastenregeln wird Jom Kippur nicht als Tag der Trauer verstanden, sondern als Tag der Hoffnung und Freude. In den rabbinischen Schriften heißt es, dass es keinen Tag gibt, an dem das jüdische Volk so sehr von Freude erfüllt ist wie am Jom Kippur, da Gott an diesem Tag die Sünden vergibt. Die Symbolik der weißen Gewänder unterstreicht sowohl die Reinheit als auch die Erinnerung an die eigene Sterblichkeit. So verbindet sich die ernste Atmosphäre des Fastens mit der Zuversicht, einen neuen Anfang wagen zu dürfen.

Von zentraler Bedeutung ist dabei die Einsicht, dass echte Versöhnung immer auch den Mitmenschen einbezieht. Jom Kippur fordert dazu auf, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und im Miteinander Heilung zu ermöglichen. In dieser Botschaft liegt eine zeitlose Aktualität, die über das Judentum hinausweist.
Der Schock von 1973 – Jom Kippur als Tag des Krieges und der Erinnerung

Für Israel ist Jom Kippur nicht nur ein religiöser, sondern auch ein historisch und politisch aufgeladener Tag. Am 6. Oktober 1973, mitten während des Feiertags, griffen Ägypten und Syrien das Land überraschend an. Der sogenannte Jom-Kippur-Krieg kostete Tausende Menschen das Leben und gilt bis heute als tiefer Einschnitt in der Geschichte Israels. Für viele Israelis ist der Feiertag daher untrennbar mit der Erinnerung an diesen Angriff verbunden, und die Feier des Tages steht in einem Spannungsfeld von spiritueller Stille und kollektiver Trauer.


Zwischen Stille und Bedrohung – Jom Kippur in der Gegenwart Israels

Auch in der Gegenwart bleibt Jom Kippur von politischen Realitäten überschattet. In den letzten Jahren kam es wiederholt zu Spannungen und Angriffen am Feiertag selbst. Diese Koinzidenz von religiöser Einkehr und äußerer Bedrohung macht Jom Kippur in Israel zu einem Tag, der spirituelle Hoffnung und politische Wachsamkeit zugleich symbolisiert.

Gleichzeitig wird der Feiertag heute in der Weltöffentlichkeit auch als Symbol des Friedens und der Versöhnung wahrgenommen. Er lädt dazu ein, über Schuld, Verantwortung und Neubeginn nachzudenken – Themen, die im Angesicht globaler Konflikte besondere Relevanz haben.


Ein Feiertag für die Zukunft – warum Jom Kippur auch kommende Generationen bewegt

Jom Kippur steht vor der Herausforderung, auch kommende Generationen zu erreichen. Während viele junge Juden nicht mehr so stark religiös gebunden sind wie ihre Eltern oder Großeltern, suchen sie dennoch nach spiritueller Tiefe und authentischen Erfahrungen. Der Feiertag bietet dafür eine besondere Chance, da er universelle Themen wie Schuld, Vergebung und Neubeginn anspricht

Darüber hinaus hat er das Potenzial, auch in interreligiösen und gesellschaftlichen Dialogen Brücken zu schlagen. Die Idee, Verantwortung zu übernehmen und sich mit anderen zu versöhnen, ist ein Wert, der über Glaubensgrenzen hinweg Bedeutung besitzt. So kann Jom Kippur nicht nur innerjüdisch, sondern auch in einer globalen Welt als Inspiration für ein friedliches Miteinander verstanden werden.

 

Fazit: Ein Tag, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet

Jom Kippur ist weit mehr als ein traditioneller Fastentag. Er ist ein Moment tiefer religiöser Einkehr, ein Tag der Versöhnung und des Neubeginns, ein kollektives Gedächtnisereignis und zugleich ein Spiegel der aktuellen Herausforderungen. Zwischen Tempelritualen der Antike, Erinnerungen an Kriege und der Suche nach spiritueller Orientierung in einer globalisierten Welt bleibt seine Botschaft zeitlos: Nur durch Versöhnung, Verantwortung und den Mut zur Umkehr kann wahrer Frieden entstehen.

 


 

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Quellen zum Artikel und mehr zum Thema unter:

www.klexikon.zum.de/wiki/Jom_Kippur
www.br.de/interkulturell/interkultureller-kalender-versoehnungstag-kippur-100.html
www.juedische-allgemeine.de/religion/jom-kippur-fuer-anfaenger/
www.de.chabad.org/library/article_cdo/aid/5151/jewish/Anleitung.htm
www.judentum-projekt.de/religion/feste/jomkippur/index.php
www.israelmagazin.de/israel-juedisch/judische-feiertage/jom-kippur
www.mdr.de/religion/religion/jom-kippur-datum-bedeutung-geschichte-fuer-den-versoehnungstag-112.html
www.sonntagsblatt.de/artikel/spiritualitaet-mystik/jom-kippur-versoehnungstag-judentum
www.evangelisch.de/inhalte/96181/29-09-2009/jom-kippur-ist-der-wichtigste-juedische-feiertag