Unsichtbar hörbar – Der Tag der Gehörlosen
Warum ein einziger Tag im Jahr so viel über Gerechtigkeit, Sprache und gelebte Inklusion verrät

Der jährlich stattfindende Tag der Gehörlosen ist ein zentrales Ereignis für die Gehörlosengemeinschaft weltweit. Er dient nicht nur der Sichtbarmachung von Herausforderungen, mit denen gehörlose Menschen konfrontiert sind, sondern auch der Würdigung ihrer Kultur, Sprache und Geschichte. Der Tag wird traditionell am letzten Sonntag im September begangen und ist Höhepunkt der Internationalen Woche der Gehörlosen, die jeweils in der letzten Septemberwoche stattfindet. Er geht auf Initiativen der Gehörlosenbewegung zurück und ist mittlerweile ein wichtiger Bestandteil des globalen Kampfes für Inklusion und Barrierefreiheit.
Wie ist der Tag der Gehörlosen entstanden?
Der Ursprung des Tags der Gehörlosen liegt im Jahr 1958. Die World Federation of the Deaf (WFD), der internationale Dachverband der Gehörlosenorganisationen, rief diesen Gedenktag ins Leben, um auf die Rechte, Anliegen und die Lebensrealität gehörloser Menschen aufmerksam zu machen. Die Wahl des letzten Septembersonntags soll symbolisch an die Gründung der WFD erinnern, die 1951 in Rom stattfand. Seither wird der Tag jährlich weltweit gefeiert – in verschiedenen Formen, mit lokalen Schwerpunkten, aber einem gemeinsamen Ziel: Gleichberechtigung und gesellschaftliche Teilhabe.
Die „Internationale Woche der Gehörlosen“ wurde als Erweiterung dieses Gedenktages etabliert. In dieser Woche finden weltweit zahlreiche Aktionen, Bildungs- und Kulturveranstaltungen, Demonstrationen, Konferenzen und Begegnungstreffen statt. Die WFD stellt jährlich ein Motto zur Verfügung, das aktuelle Schwerpunkte der politischen und gesellschaftlichen Debatte aufgreift – etwa Bildung, Menschenrechte, Gebärdensprache oder Barrierefreiheit.
Bedeutung der Gebärdensprache
Ein zentrales Anliegen des Tags der Gehörlosen ist die Anerkennung und Förderung der Gebärdensprache. Für viele gehörlose Menschen ist sie nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern ein elementarer Bestandteil ihrer Identität und Kultur. In über 130 Ländern existieren unterschiedliche nationale Gebärdensprachen, die genauso komplex und vollwertig sind wie Lautsprachen. In Deutschland ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS) seit 2002 durch das Behindertengleichstellungsgesetz rechtlich anerkannt. Diese Anerkennung war ein bedeutender Meilenstein im Kampf für Gleichberechtigung.
Trotzdem existieren weiterhin große Defizite in der gesellschaftlichen Teilhabe gehörloser Menschen – insbesondere im Bildungsbereich, im Gesundheitswesen und in der Arbeitswelt. Ein barrierefreier Zugang zu Informationen, Dolmetschdiensten und Bildung in Gebärdensprache ist vielerorts nach wie vor nicht selbstverständlich. Der Tag der Gehörlosen soll daher auch auf diese Missstände aufmerksam machen und politische Veränderungen anstoßen.
Gehörlosenkultur: Sichtbarkeit und Selbstbewusstsein
Neben politischen Forderungen und Bildungsarbeit bietet der Tag der Gehörlosen auch Raum zur Feier der Gehörlosenkultur. Theaterstücke in Gebärdensprache, Kunstinstallationen, Musikaufführungen mit visuellen Elementen, Poesie in Gebärdensprache – all das macht die kulturelle Vielfalt dieser Gemeinschaft sichtbar. Diese Veranstaltungen zeigen eindrucksvoll, dass Gehörlosigkeit nicht primär als Defizit verstanden werden darf, sondern als eine andere gleichwertige Weise, die Welt wahrzunehmen und sich auszudrücken.
Ein wachsendes Selbstbewusstsein innerhalb der Gehörlosengemeinschaft zeigt sich auch in der zunehmenden Zahl gehörloser Aktivist*innen, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, die sich öffentlich für die Rechte und Sichtbarkeit ihrer Community einsetzen. Der Tag der Gehörlosen unterstützt diesen gesellschaftlichen Wandel, indem er Raum für Vernetzung, Empowerment und Austausch schafft.
Was kann jede*r Einzelne tun, um die Gehörlosengemeinschaft zu unterstützen?
Die Unterstützung der Gehörlosengemeinschaft beginnt oft im Kleinen – mit Offenheit, Respekt und dem Willen zur Inklusion. Wer die Sichtbarkeit gehörloser Menschen stärken möchte, kann zum Beispiel an Veranstaltungen zum Tag der Gehörlosen teilnehmen, sich über Gebärdensprache informieren oder sogar selbst einen Gebärdensprachkurs besuchen. Bereits Grundkenntnisse in Gebärdensprache können im Alltag Barrieren abbauen und ein Zeichen der Wertschätzung sein.
Auch die bewusste Nutzung barrierefreier Kommunikation – etwa durch Untertitel in Videos oder klare Visualisierungen – trägt zur Inklusion bei. Arbeitgeber*innen können durch gezielte Maßnahmen wie barrierefreie Arbeitsplätze oder die Bereitstellung von Gebärdensprachdolmetscher*innen wichtige Beiträge leisten. Darüber hinaus lohnt es sich, gehörlose Organisationen, Kulturinitiativen oder politische Kampagnen aktiv zu unterstützen – sei es finanziell, durch ehrenamtliches Engagement oder durch Teilen von Informationen in sozialen Netzwerken. Inklusion ist ein gesellschaftlicher Prozess, der auf Mitwirkung angewiesen ist.
Fazit
Der Tag der Gehörlosen ist weit mehr als ein Gedenktag. Er ist ein politisches Statement, ein kulturelles Ereignis und eine Plattform für die Gehörlosengemeinschaft weltweit. Er erinnert daran, dass Inklusion keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der Engagement und gesellschaftliches Umdenken erfordert. Die Anerkennung der Gebärdensprache, der Zugang zu Bildung und Arbeit, die Teilhabe an Kultur und Politik – all das sind Grundrechte, für die es sich zu kämpfen lohnt. Der Tag der Gehörlosen trägt dazu bei, diese Anliegen ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken – Jahr für Jahr, weltweit.
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Quellen zum Artikel und mehr zum Thema unter:
World Federation of the Deaf (WFD): wfdeaf.org
Deutscher Gehörlosen-Bund e.V. (DGB): www.gehoerlosen-bund.de
Aktion Mensch – Themenseite zur Gehörlosigkeit: www.aktion-mensch.de/themen/gehoerlosigkeit
Deutsches Institut für Menschenrechte – Inklusion und Barrierefreiheit: www.institut-fuer-menschenrechte.de
Bundesministerium für Arbeit und Soziales – Informationen zur Gebärdensprache: www.bmas.de/DE/Service/Gebaerdensprache/inhalt.html
UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK): www.un.org/development/desa/disabilities/convention-on-the-rights-of-persons-with-disabilities.html